„Rafting & Beyond“ ist sicher ein ungewöhnlicher Titel für ein Musikstück, und er hat in diesem Fall eine dezidierte persönliche Bedeutung, was die Entstehungsidee dieses Stücks betrifft. „Rafting“, was so viel wie ‚Floß fahren‘ oder ‚Boot fahren‘ auf wilden Gewässern heißt, ist in Ländern wie Neuseeland eine beliebte Sportart. Solch ein „Rafting“, das ich 1991 selbst durchführte („Black Water Rafting“ in Höhlenflüssen), regte mich in der Folge dazu an, die dabei erfahrenen Kommunikationsformen unter den sich völlig fremden TeilnehmernInnen in eine abstrakte musikalische Situation zu übertragen. Da Fragen der zwischenmenschlichen Kommunikation als künstlerische Problemstellungen schon immer einen zentralen Stellenwert in meiner Arbeit einnahmen, war dies ein weiterer entsprechender Schritt im Rahmen dieses konzeptionellen Netzwerks.
Fasziniert an diesem Erlebnis hatte mich die Tatsache, dass wildfremde Menschen zusammenkommen und für einen kurzen Zeitraum ungemein eng aufeinander angewiesen ja voneinander abhängig sind. Die Psyche des/der Einzelnen kommt dadurch ungewöhnlich direkt und „ohne Vorwarnung“ zur Geltung. Danach jedoch ist alles ebenso schnell wieder verschwunden, wie es begonnen hat.
Kurzzeitige Kommunikation ist in unserer schnelllebigen Zeit fast schon eine alltägliche Situation. Wie oberflächlich jedoch bleiben solche Kontakte, wie sehr basieren sie auf wechselseitig aufgebauten Fassaden zur Profilierung des eigenen Status’ und Abgrenzung des entsprechenden Einflussbereichs. Bei jener „Rafting“-Situation jedoch war Oberflächlichkeit durch die ungewöhnlichen Rahmenbedingungen nicht möglich. Trotzdem verpuffte die potentielle Vertiefung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Diese reichlich unwirkliche aber eben doch reale Situation hat mich damals längere Zeit beschäftigt.
Eine musikalische Situation kann ebenfalls aus dem „Sich-Gegenseitig-Finden“, über das Austragen und extrovertierten Produzieren individueller Verhaltensweisen („Soli“) bis hin zur erzwungenen Gemeinschaft und gerade deswegen zum plötzlichem Zerfall sich entwickeln.
Diese konkrete Erfahrung und Auseinandersetzung bildete somit für mich aus verschiedenen Gründen den Rahmen, eine Musik zu komponieren, die sich mit solchen Beziehungen auf verschiedenen Ebenen in Form eines kleinen „Dramas“ beschäftigt.
Daneben jedoch übersteigt („beyond“) etwas diesen quasi-realistischen Bezug und berührt eine abstrakte, nahezu ritualisierte Ebene von Verhaltensweisen und Beziehungen, die dann von dem konkreten Bezug losgelöst sind und ihr musikalisches Eigenleben führen. Die Spieler treten dabei durch bestimmte komponierte Bedingungen in entsprechende Verhältnisse zueinander und erleben im Idealfall dieses Stück - oder diese Beziehungen – ebenfalls auf einer übergeordneten Ebene.
Es ist deswegen keineswegs nötig, die oben angeführte „Geschichte“ zu kennen, denn, wie auch in allen meinen anderen Stücken, die Musik sollte ihre eigene transzendente Dimension haben, losgelöst von dem vielleicht eher realistischen Ausgangspunkt.
„Rafting and Beyond“ wurde im Laufe meiner Tätigkeit als „composer-in-residence“ an der Musikhochschule in Wellington/Neuseeland komponiert und ist dem dortigen Komponisten Jack Body gewidmet.